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Liebe auf den ersten Blick?!
Gibt es sie wirklich, die Liebe auf den ersten Blick?
Vor einem Jahr hätte ich das lächelnd als Quatsch abgetan. Für mich musste Liebe wachsen, brauchte gemeinsame Erlebnisse und vor allem Zeit. Viel Zeit.
Vor fast drei Jahren habe ich noch völlig verständnislos meinen Mann betrachtet, der sich Hals über Kopf in ein Bild im Internet verliebt hatte, unsere Mathilde. Auch wenn sie heute mein Prinzesschen ist, verstehen konnte ich es nicht.
Bis Marlowe..., Entschuldigung, Herr Marlowe natürlich!... in mein Leben trat.
Nach Shariks Tod Weihnachten 2015 stand für mich die Welt eine zeitlang still. Mein Großer fehlte mir an allen Ecken und Enden. Durch sein spezielles Wesen und die schwere Krankheit bestimmte er die letzten Jahre und vor allem Monate den Tagesablauf. Er hinterließ eine große Leere. Nicht nur für mich und meinen Mann, auch für Kenai und Mathilde.
Kenny wurde wieder sehr krank, Mathilde gleich mit. Einige Zeit hatte ich wirklich Angst, die Motte geht hinterher. Kenny versuchte kurzfristig Shariks Position im Rudel zu übernehmen und scheiterte gnadenlos. Keiner von uns konnte dem anderen die notwendige Sicherheit geben, es war keine schöne Zeit.
Natürlich kamen Ratschläge von allen Seiten. Ungefragt und ungewollt, aber natürlich immer gut gemeint. „Holt euch bloß nicht wieder einen Dritten Hund!“, sagten die einen, „ am besten ihr holt euch bald wieder einen Dritten Hund“, die anderen.
Mir waren die ganzen Diskussionen zuwider. Natürlich wäre ein selbstsicherer Hund für Kenny und die Motte von Vorteil, aber alleine der Gedanke an einen neuen Hund sorgte bei mir für eine neue Heulattacke. Ich wollte einfach nur in Ruhe trauern und machte das auch unmissverständlich klar. Ein neues Familienmitglied würde es mit mir nicht so einfach geben. Punkt! Ende! Aus!
Aber manchmal kommt es eben anders...
Da ich von Natur aus eher emotional als rational bin, schaue ich grundsätzlich keine Tiervermittlungssendungen im Fernsehen. Egal welche! Auch „Tiere suchen ein Zuhause“ läuft bei mir aus Prinzip nicht.
Ich klicke auch keine Videos bei Facebook an, egal wie traurig die Hunde aus der Wäsche schauen. Mache ich generell nicht, tut mir nicht gut.
Warum ich allerdings an diesem Samstag im März unmotiviert bei Facebook gelesen, dann auch noch ein Video der oben genannten Sendung angeklickt habe und alles obwohl sich mein Schreibtisch vor unerledigter Arbeit schon durchgebogen hat... Ich weiß es nicht. Vielleicht Schicksal?
Das Video dokumentierte eine Sicherstellung. 22 Hunde wurden von einer privaten Pflegestelle durch das Veterinäramt beschlagnahmt und in das Tierheim Troisdorf gebracht. Der WDR filmte das Ganze und berichtete entsprechend. Was für ein Anblick... Viele kranke, behinderte Hunde. Alte und scheue Hunde und sogar eine Katze dazwischen. Das Video passt zu meiner Stimmung und ich wechselte immer wieder von Trauer zu Wut und zu Fassungslosigkeit, ob des Anblicks der Hunde.
Und dann kam er!
Alles was ich zunächst sah, waren seine Augen. Augen, die panisch aus seiner Box schauten. Und diese Augen hauten mich auf der Stelle um!
Später sah man, wie die Pflegerin ihn aus seiner Box in den Zwinger ziehen musste. Was für ein verwahrlostes, verfilztes schwarzbraunes Bündel.
Und noch während des Videos fing ich an zu weinen. Ich weinte und weinte, um Sharik, um den panischen Hund und eigentlich wegen allem Schlechten auf dieser Welt.
Es war furchtbar. Der Anblick dieses armen Hundes, der teilnahmslos im Zimmer lag, zitterte und nicht mal Leckerchen nehmen konnte, tat mir in der Seele weh.
Ich habe das Video bestimmt zehnmal angeschaut, es auch meinem Mann gezeigt und jedes Mal flossen die Tränen.
In diesem Moment war es um mich geschehen. Ich wusste nichts von diesem Hund, nicht wie alt er war, nicht wie krank er war. Alles was ich wusste war, dass dieser Hund MEIN Hund ist.
Klingt verrückt, oder?
Ein guter Freund sagte spontan beim Anblick des Videos:“ Der hat ja Shariks Augen!“ Und das stimmte.... Ich hatte jedes Mal das Gefühl, mein Großer schaut mich an.
Während ich natürlich noch mit mir haderte (Schaffe ich einen weiteren Hund? Muss das sein? Was ist wenn?) machte mein Mann, wie immer, Nägel mit Köpfen und schrieb das Tierheim Troisdorf an.
Ein paar Tage später erhielten wir einen Rückruf und die ersten Daten zu dem Hund. Marlowe kam ursprünglich aus Rumänien, war nun seit 4 Wochen im Tierheim und machte allmählich kleinere Fortschritte. Er ging mit seiner Bezugsperson auch schon spazieren, allerdings eher unwillig. Anfassen lassen wollte er sich nicht und am liebsten hatte er seine Ruhe im Zwinger. Allerdings hatte er auch bereits Interessenten.
Nun gut, dann war es eben so. Hauptsache, er bekam ein gutes Zuhause und konnte noch ein einigermaßen zufriedenes Leben führen.
Trotzdem war ich traurig und enttäuscht und schaute täglich auf die Homepage des Tierheims, ob er unter „Vermittelt“ stand.
Am Dienstagmorgen vor Ostern klingelte ganz unverhofft das Telefon und die Pflegerin vom TH Troisdorf war dran. Beide Interessenten waren zwischenzeitlich abgesprungen und ob wir denn noch Interesse an Marlowe hätten? Aber natürlich! Klar hatten wir das! Da mein Mann und ich beide berufstätig waren, blieb nur der Ostersamstag um ins 400 km entfernte Köln zu fahren.
Also vereinbarten wir für den Samstag ein Kennenlernen. Seine Pflegerin wollte extra an diesem Tag, trotz Urlaub, ins TH kommen um dabei zu sein. Fand ich super! Überhaupt war der Umgang mit dem Tierheim und den Mitarbeitern sehr positiv. So etwas war ich gar nicht gewöhnt. Total empfehlenswert!
Okay, der Termin stand und ich hatte noch genau fünf Tage um mich selbst verrückt zu machen. Ein scheuer Hund, der nicht angefasst werden wollte. Super. Das war ja genau das, was meine beiden Hysteriker und ich brauchten. Sozialverträglich war er wohl, hoffentlich sahen meine Beiden das auch so. Und überhaupt... bin ich eigentlich total bescheuert??
Gott sei Dank bewahrte wenigstens mein Mann einen kühlen Kopf und kaufte noch spontan ein größeres Auto. Das war zwar schon länger geplant, musste jetzt aber kurzfristig erledigt werden.
Bevor ich noch kalte Füße bekommen konnte, war es Samstagmorgen und wir fuhren allesamt mit Sack und Pack nach Troisdorf.
Für mich eine Tortur. Ich hasse Autobahnen aus tiefsten Herzen und somit war ich schweißgebadet, als wir um 14 Uhr endlich in Köln ankamen.
Es folgte eine nette Begrüßung und dann sah ich ihn das erste Mal live und in Farbe:
Äh ja. Der erste Gedanke war... Ach Gottchen, ist der klein! Im Video sah er bei weitem größer aus, als seine realen ca. 50 cm. Ups, na da wird mein Mann ja begeistert sein, er wollte ja gerne einen großen Hund. „Da ist der alte Herr“, sagte seine Pflegerin. AHA. Auf meine scheue Frage, wie alt er denn sei, antwortete sie „Zwölf“.
Ach du liebe Güte. Das hatte ich wirklich und wahrhaftig vorher nicht gefragt. Weil es mir eigentlich auch egal war. Aber mein Mann wollte eigentlich partout keinen alten Hund. Zu viele Hunde hatten wir in den letzten Jahren verabschieden müssen.
Ja, super. Hatte ich ja richtig gut gemacht. Sein Blick sprach Bände.
Das Kennenlernen verlief eher unspektakulär. Marlowe lag in seinem Körbchen und wollte nix von uns wissen.
Also auf zum Spazierengehen und zum Beschnüffeln mit unseren beiden Knalltüten. Auch das verlief ziemlich reibungslos. Kenny war viel zu aufgedreht in der neuen Umgebung, schnüffelte ihn einmal an und beschloss, dass es im Park wichtigere Dinge zu erkunden gab.
Mathilde war schon skeptischer und da ich meine kleine, provokante Hexe ja kenne, war ich echt gespannt. Marlowe war sehr freundlich und zurückhaltend den beiden gegenüber. Allerdings fand er die ganze Situation eh blöd und versuchte bei jeder Gelegenheit umzudrehen und wieder ins TH in den vertrauten Zwinger zu kommen. Wenn das nicht ging, legte er sich einfach hin! Und lag! So zog ich Marlowe am ersten sonnigen Tag des Jahres durch den Park, während Kenny und Mathilde fröhlich alles erkundeten.
Dann kam der Moment, auf den ich ja nur gewartet hatte. Mathilde provozierte und machte einen auf nett. Die olle Kröte und Nett? Ha, ha... Kleine Hüpfer und Spielaufforderungen folgten. Freundlich, wie Marlowe nun mal ist, stieg er drauf ein um sofort von Madame zurechtgewiesen zu werden.
Aufgeregt klapperte sie mit den Zähnen vor seiner Nase und echauffierte sich. Typisch mein kleiner Hexenzahn! Man sah Marlowe seine Verwunderung förmlich an, aber er ging überhaupt nicht drauf ein und ging weiter seiner Wege.
Super, den Mottentest hatte er somit bestanden.
Tja, lange Rede... Kurzer Sinn. Alles verlief bestens und da wir alle notwendigen Unterlagen mit hatten, fuhr Marlowe am selben Tag mit nach Hause.
Nach insgesamt 800 km Autobahn, einem Stau nach dem nächsten und einem sehr aufregenden Tag kamen wir abends wieder wohlbehalten zu Hause an. Marlowe hatte die Fahrt zitternd, aber ohne große Zwischenfälle hinter sich gebracht.
Nun wollten wir noch eine kleine Runde gehen und dann gemeinsam das Haus betreten.
Nur hatten wir hier die Rechnung ohne Herrn Marlowe gemacht. Häuser waren ihm gruselig. Panisch warf er sich unter einen Busch und versuchte sich unsichtbar zu machen. Jeder Versuch ihn dort hervorzubekommen schlug fehl. Hinzu kam noch, dass wir von einem weit größeren Hund ausgegangen sind und somit Geschirr und Halsband eher suboptimal saßen und ich mir nicht sicher sein konnte, dass beides einem Machtkampf standhalten würde. (Ja, ja, ich weiß. Völlig blöd. Aber hatte ich schon erwähnt, dass in Sachen Herr M. mein Verstand einfach total daneben war?)
Prima! Nun saß ich also im Dunkeln bei einsetzendem Regen mit meinem heiß ersehnten neuen Hund auf dem Hof unter einem Busch und wusste nicht mehr weiter.
Jede Kontaktaufnahme lehnte Herr M. kategorisch ab.
Mein Mann brachte in der Zeit unsere Beiden, die absolut kein Verständnis mehr dafür hatten, blöd auf dem Hof zu stehen, wo es doch Zeit fürs Abendessen war, ins Haus und organisierte ein kleineres Halsband.
Vorsichtig pfriemelte ich Herrn Marlowe das gut sitzende Halsband um und war erst einmal beruhigt, ihn sicher an der Leine zu haben. Denn eins war mir klar. Diesen Hund würde ich NIEMALS wieder bekommen, wenn er entlief. Ich liebte diesen Hund zwar von Anfang an, Herr Marlowe mich jedoch überhaupt nicht. Marlowe war völlig überfordert mit dieser Situation und schwankte zwischen Weglaufen und „Einfrieren“.
Gegen seinen Willen brachte ich ihn ins Haus, wo Kenny und Mathilde schon hungrig auf uns warteten. Als er erst einmal drin war, verlief wieder alles total entspannt.
Da bin ich ja schon arg stolz auf meine beiden Rabauken! Können sie draußen an der Leine schon mal wirkliche Kotzbrocken sein... Aber egal, was ich auch anschleppe... Wenn Frauchen sagt:“ Gehört zu uns!“, dann ist es okay.
Langsam lernten wir uns in den nächsten Tagen kennen.
Na ja, was man so Kennenlernen nennen kann. Marlowe versuchte sich schlicht und ergreifend unsichtbar zu machen.
Und wir versuchten, ihn am Leben teilhaben zu lassen.
Manchmal kollidierten unsere gegenseitigen Versuche leider. Sowohl mein Mann als auch ich bekamen seine Zähne zu spüren. Aber das war okay. Wir versuchten halt, noch mehr Rücksicht auf den ollen Grätzkopp zu nehmen, was manchmal nicht leicht war.
Es stellte sich schnell heraus, dass Herr Marlowe weder gut sehen noch gut hören konnte. Unter dem dicken, verfilzten Fell befand sich ein kleiner, dürrer und unterbemuskelter Körper. Unsere Physiotherapeutin schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
Ständig musste man Marlowe vor sich selbst retten, denn Mister „Hörtnix – siehtnix – rafftnix“ brachte sich andauernd in Gefahr. Sei es, dass er den Bordstein runterfiel, mit beiden Beinen in einem Gully stecken blieb oder voll Karacho vor die geschlossene Terrassentür lief.
Den Höhepunkt erreichten wir, als Herr M. freudig in den Kofferraum des Autos springen wollte... Leider war die Klappe noch geschlossen!
Also lernten wir gemeinsam. Marlowe, dass er uns vertrauen konnte und wir, dass das Leben für ihn Gefahren barg, wo wir sie niemals erwartet hätten.
Nach ca. 4 Monaten, wir hatten gerade Urlaub, führten mein Mann und ich ein ernsthaftes Gespräch über Marlowe. Gerade an dem Tag hatte Herr M. wieder nach meinem Mann geschnappt, der, wie jeden Morgen, einfach nur an ihm vorbeigehen wollte.
Was machten wir bloß falsch? Hatte Herr M. anfangs große Fortschritte in punkto „Leben in einer Familie“ gemacht, machte er nun eher Rückschritte. Natürlich, es hatte sich in den Monaten viel geändert. Ich konnte ihn jederzeit anfassen, er lief freudig auf den Spaziergängen mit und er vertrug sich mit Kenny und Mathilde. Aber wir, wir waren ihm völlig schnuppe.
Ein weiteres Phänomen war, dass Marlowe nicht saß. Er stand, oder er lag. Ich habe ihn bis auf einige Situationen, in denen er zufällig ins Sitz geplumpst war, wirklich NIE sitzen sehen. Natürlich haben wir abgeklärt, ob es medizinische Gründe gab. Dem war aber nicht so. Ich versuchte alle Tricks und Kniffe um ihm, wie einem Welpen, dass Kommando beizubringen. No Chance. Genauso wenig, wie er auf seinen Namen hörte. Auch hier... alle Versuche liefen ins Leere.
Irgendwann nahm ich ihn mit zum „Degility“. Eigentlich war das Training für die alte Dame Mathilde gedacht. Auch mit knapp 15 Jahren möchte die Misses noch (altersgerecht) beschäftigt werden.
Und siehe da... Herr M. fand Gefallen an den, für ihn extra leichten, Übungen.
Er stolperte über die Cavaletti, lief wackelig über eine Luftmatratze und freute sich, wenn es Leckerchen hagelte. Plan von den Dingen, die er dort tun sollte, hatte er zwar keinen, aber das war egal. Hauptsache er tat überhaupt etwas. Und zwar mit mir gemeinsam.
Vom einen auf den anderen Tag änderte sich sein Verhalten.
Er kam angeflitzt, wenn man seinen Namen (laut!) rief, um sein Leckerchen abzuholen.
Er freute sich morgens, wenn ich die Treppe herunterkam. (Er mag nicht bei uns im Schlafzimmer sein, sondern pennt lieber alleine im Esszimmer)
Dann kam der Tag, als er sich wirklich und wahrhaftig freute, als wir nach einer kurzen Abwesenheit wieder nach Hause kamen.
Und irgendwann kam auch der Tag, an dem er vorsichtig seinen Kopf in meine Hand schmiegte, damit ich besser die Ohren kraulen kann.
Ich hätte vor Freude, heulen können!
Auch das Verhältnis zu meinem Mann wurde langsam aber stetig besser.
Herr Marlowe ist nun seit knapp 9 Monaten bei uns und viel ist in der Zwischenzeit passiert. Neuerdings kann er sogar „Sitz“.
Heute ist er der Erste, der laut kläffend sein Fressen einfordert, der Erste, der beim Spazierengehen nach vorne prescht und der Geduldigste beim Thema Fellpflege.
Der panische, verfilzte Hund ist Geschichte.
Marlowe wird nie ein Kuschelhund werden, das hat er nie gelernt.
Noch immer mag er keine fremden Räumlichkeiten und vor allem keine Männer. Schnelle Bewegungen und laute Geräusche machen ihm Angst. Die Kamera hasst er, wie man an den Fotos sehen kann, über alles!
Aber das ist okay. Er ist wie er ist und das ist gut so.
Und langsam, ganz langsam, scheint meine Liebe auf den ersten Blick erwidert zu werden. Denn das ist mir vor 9 Monaten klar geworden:
Ja, es gibt sie, diese Liebe auf den ersten Blick!
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